Der Sog von Konflikten auf den Rest des Systems

oder: Auch bei mir kracht’s und dann richtig

Gestern hat es bei uns gekracht – aber so richtig.
Ja, dass passiert auch bei Menschen, die sich in ihrem beruflichen Alltag täglich mit Konflikten beschäftigen :-).
Meine Söhne, beide auf dem Peak ihrer Testosteronladung, sind aufeinander los – mal wieder. Systemische Familientherapeut:innen bezeichnen sie als ‚Pseudozwillinge‘, also gleichgeschlechtliche Geschwister, die in einem Abstand von weniger als zwei Jahren geboren wurden. Bei Pseudozwillingen sollen die Rollengrenzen verwischen. Darum müssen diese ständig neu ausgefochten werden.
Warum erzähle ich das?
Ich finde es immer wieder faszinierend -allerdings nicht schön – am eigenen Leib zu erfahren, was für einen Sog Konflikte in einem eng aufeinander bezogenen System auf die übrigen Systemmitglieder auslöst. Es ist fast unmöglich, sich nicht mit hineinziehen zu lassen. Es gelingt nur den wenigsten und zu den wenigsten Anlässen, die Schweiz zu sein. Mir auch nicht – trotz all meiner Erfahrung und meines Wissens. Selbst wenn ich es schaffe, einen einigermaßen kühlen Kopf zu bewahren und mit gebotenem Abstand auf das Getümmel zu blicken, komme ich dennoch oft zu dem Schluss, dass Sich-Raushalten höhere Folgekosten für das Gesamtsystem hat als Sich-Einmischen. Also stürze ich mich ins Geschehen und werde Teil des Konfliktes. Ich kann als Systemmitglied nicht die Mediationsrolle übernehmen. Ich bin befangen. Und aus der Schlichterrolle bin ich rausgewachsen, bzw. meine Söhne aus deren Akzeptanz. Und genau so ergeht es häufig meinen Kund:innen. Sie können noch so gute Führungskräfte sein. Sie sind Systemmitglieder und damit oftmals zu nah dran, um allparteilich zu deeskalieren. Und auch wenn wir es versuchen, so wissen wir eigentlich schon im Vorfeld, dass diese Aktion zum Scheitern verurteilt ist, denn das System drängt uns, uns zu positionieren. Manchmal, so scheint es, ist das sogar das eigentliche Ziel des Konfliktes.
Meine Kund:innen haben mir gegenüber allerdings einen Vorteil. In Arbeitsorganisationen kann ich ohne die explizite Zustimmung jeder Beteiligten eine Mediation veranlassen. Wenn ich das mit meiner Familie tun würde, säße ich allein am Tisch :-). Also nutze ich die Kompetenz versierter befreundeter Kolleg:innen doch lieber gleich nur für mich, indem ich mich von Ihnen als Konfliktbeteiligte beraten lassen. Denn auch wir vom Fach sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht, wenn wir mitten im Geschehen stecken. Oder anders ausgedrückt: Unser blinder Fleck ist dann einfach zu groß und verstellt die Sicht auf manche Lösungsmöglichkeiten

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