ein Definitionsversuch aus der Praxis
Neulich Abend im Restaurant brachte eine liebe Kollegin von mir die These auf, dass viele von uns, die sagen, sie arbeiten systemisch, gar nicht genau wissen, was sie damit eigentlich meinen. Systemisch betrachtet brachte sie damit eine Irritation in mein System 😊. Und aus systemischer Sicht braucht es genau diese, um ein System zum Lernen zu veranlassen und/ oder eben zur Veränderung. Ich fing an zu grübeln, „weiß ich denn tatsächlich so genau, was ich damit meine?“. Nach einer Weile antwortete „die Systemikerin“ aus den tieferen Sphären meines Bewusstseins heraus: „Jawoll, natürlich!“. Mit einer systemischen Haltung in Konflikte zu gehen bedeutet für mich folgendes:
- Gehe immer davon aus, dass Menschen etwas tun, was einmal Sinn ergeben hat, also eine Lösung eines Problems war. Dieser Sinn muss nicht zwangsläufig aktuell sein, er kann auch in der Vergangenheit liegen.
- Deshalb gehe voller Neugier und Respekt auf die Suche nach diesem Sinn und sorge so für eine Basis des Verständnisses
- Menschen stehen in Wechselwirkung zueinander. Verhalten bedingt Verhalten bedingt Verhalten.
- Wie dieses Verhalten wahrgenommen und interpretiert wird, kann höchst unterschiedlich sein. Es gibt somit nicht DIE Realität sondern viele unterschiedliche Perspektiven auf sie, denn es hängt davon ab, WAS wir wahrnehmen, also was für uns von Bedeutung ist und WIE wir es bewerten, also WELCHE Bedeutung wir dieser zuschreiben.
- Systeme sind auf Dauer ausgelegt, nicht auf Veränderung. Somit sind Wechselwirkungen relativ schnell stabil. Soll eine stabile Veränderung erzeugt werden, braucht es Routinen, die diese unterstützen. Somit suchen wir nach Spielregeln und Formaten, die wir als trojanisches Pferd dazu verwenden können. Routinen (Dauer), die Veränderung (Weiterentwicklung) erzeugen
- Elemente des Systems, also Verhaltensweisen von Menschen, stehen in Verbindung zueinander und üben Einfluss aufeinander aus (Wechselwirkung/ Muster). Ein Ursache-Wirkungs-Verständnis greift in den meisten Fällen viel zu kurz! Verändere ich eins der Elemente hat dies Auswirkungen auf die anderen. Das ganze System muss sich mit den Veränderungen auseinandersetzen und sich dazu positionieren. Also auch etwas anders machen.
- Deshalb: Denke in Lösungen nicht in Ursachen und Schuld und leite den Prozess mit Hilfe eines attraktiven, gemeinsamen Ziels.
- Dafür nutze den „Sowohl-als auch-“ statt den „Entweder-oder-Modus“. Im Konflikt herrscht Schwarz-Weiß-Denken, Schuld-Unschuld-Denken vor. Deshalb können durch „sowohl-als-auch“ völlig neue Lösungsräume eröffnet werden.
Um dies alles zu transportieren und überhaupt zur Anwendung zu bringen, braucht es meines Erachtens zunächst aber vor allem eine wertschätzende, empathische Haltung der Allparteilichkeit und respektvoller Neugierde.
Das ist vielleicht nicht komplett das, was die Lehrsystemiker lesen wollen, aber es entspricht meiner vollen Überzeugung!