OK, her mit dem Besen!

Auch Teammediation funktionieren virtuell

Von gefräßigen Raupen und Glaubenssätzen

In letzter Zeit fühle ich mich häufig an das beliebte Kinderbuch ‚Die kleine Raupe Nimmersatt‘ von Eric Carle erinnert. Meine Raupe hat den wenig niedlichen Namen 2020 und ihr Futter sind meine langgehegten und gut gepflegten Glaubenssätze.

Gleich zu Beginn der ganzen Pandemie vielen diesem gefräßigen Biest die meisten festverwurzelten Beliefs zu Coaching und Mediation zum Fraße. Ich musste staunend anerkennen, dass sowohl Coaching als auch Mediation mit wenig Beteiligten erstaunlich gut funktioniert. Nicht zuletzt dank der Unterstützung vieler toller Online-Tools. Dann konnte ich erstmal aufatmen, die Raupe schien satt. Ich machte mir sogar Hoffnung, dass sie sich zurückgezogen hatte, um sich zu verpuppen. Weit gefehlt. In den letzten Wochen war sie wieder sehr umtriebig. Ausgiebig haben wir beide um den letzten Glaubenssatz gerungen: „Mediation mit ganzen Teams oder in großen Gruppen funktioniert online schlichtweg nicht!“ Nun, nach mehr als einem halben Duzend ‚Versuchsballons‘ muss ich mir eingestehen: Die gefräßige Raupe hat gewonnen. Ich erkläre meinen letzten Glaubenssatz hinsichtlich dem, was virtuell NICHT geht, für erledigt. Und nun her mit dem Besen, den ich so großartig tönend fressen wollte!

Welche Erfahrungen ich bislang mit virtuellen Teammediationen machen durfte

Es funktioniert also; selbst Teams mit über 10 Mitgliedern können ihre Konflikte und Problemthemen online-live angehen, bearbeiten und klären – und das sogar richtig gut.

Meine ersten virtuellen Team-Konfliktmoderationen standen mir ziemlich bevor. Ich hatte Sorge, dass ich die Stimmungen und vor allem deren Veränderungen nicht rechtzeitig mitbekommen würde. Das sich also Spannungen überraschend disruptiv entladen würden und dann deutlich schwerer in konstruktive Bahnen zu lenken sein würden. Oder noch schlimmer, dass sich danach einfach Teilnehmer:innen ausloggen würden und damit fast unerreichbar würden.

Nichts davon ist in meinen Team-Mediationen bislang passiert.

Ausschnitt aus einer virtuell-visuell dargestellten Team-Konflikt-Historie

Stattdessen erlebte ich in fast jedem Prozess erstaunliche Sternstunden des verantwortungsbewussten Miteinanders – und das trotz aller Zerrüttung!

Die Teammitglieder achteten aufeinander: wer scheint gerade Technikprobleme zu haben und bekommt deshalb nicht mehr alles mit. Wer kämpft mit den Tränen und braucht deshalb vielleicht kurz die Aufmerksamkeit. Wer wird unruhig, braucht das Wort, um nicht zu platzen, um noch folgen zu können.

Ja, Emotionen sind virtuell möglich. Mein Zwischenfazit: Die Hürde, Gefühle zu zeigen, scheint virtuell niedriger zu liegen. Ich erlebe immer wieder, dass Menschen es eher zulassen, die professionelle Fassade für Augenblicke fallen zu lassen und sich in seiner Gekränktheit und Verletzlichkeit zu zeigen. Vielleicht hilft die Distanz hier, sich dabei sicherer, nicht unmittelbar angreifbar zu fühlen.

Und bislang durfte ich erleben, dass die Kolleg:innen damit sehr wertschätzend und behutsam umgangen sind. In vielen Fällen brauchte sich nur eine Person öffnen, um einen enormen Schneeballeffekt zu erzeugen und somit dem Prozess des Aushandelns der wichtigen Bedürfnisse und Interessen einen enormen Push zu geben.

Was braucht es dafür bei online-live Mediationen im Team?

Nicht viel anderes als bei Präsenz-Mediationen. Nur das mehr und noch klarer angeleitet.

Ich habe festgestellt, dass ich zu Beginn ein größeres ‚Sicherheitsnetz‘ spinnen muss. Es braucht mehr positive Erfahrungen im Aushandeln. Es braucht mehr AHA-Effekte, dass bei aller im Raum stehender Unterschiede auch viel Gemeinsamkeit besteht. Und es braucht mehr sicherheitsgebende Struktur durch mich.

Das alles ist sicher keine Atomphysik und deshalb schnell erlern- und umsetzbar. Liebe Mediations-Kolleg:innen: Wir müssen uns bloß einfach trauen auch hier das sichere und vertraute Terrain zu verlassen. Liebe Mitmenschen in beruflichen Konflikten: Gebt Euch, Euren Konfliktpartner:innen und uns Mediator:innen einen Vertrauensvorschuss. Wir werden das gemeinsam schon schaffen!

Und nun her mit dem Besen, damit ich es hinter mich bringen kann!

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